Politik wird immer komplexer. Entsprechend hat auch die Bedeutung von Lobbyisten, also von Interessenvertretern mit spezifischen Kenntnissen, zugenommen. Bisher war nicht einsehbar, wer als Lobbyist Zugang zum Bundeshaus hat. Das wird sich nun ändern.
"Die Bevölkerung hat ein Anrecht darauf zu wissen, wer als Lobbyist Zutritt hat zum Bundeshaus", sagt die sozialdemokratische Nationalrätin Edith Graf-Litscher gegenüber swissinfo.ch.
Darum verlangte Graf-Litscher schon vor einigen Jahren mittels einer parlamentarischen Initiative, dass sich Lobbyisten künftig akkreditieren müssen. Damit würden nicht akkreditierte Interessenvertreter vom Zugang zur Wandelhalle, dem Treffpunkt der Parlamentarier, ausgeschlossen.
"In der Zwischenzeit habe ich gemerkt, dass ich mit diesem Anliegen auf Granit beisse", sagt Graf-Litscher: "Die Mehrheit der Parlamentarier hat Angst, dass die Wandelhalle dann voll wäre von Lobbyisten."
Deshalb gibt sich Graf-Litscher nun mit einem Kompromiss zufrieden. Statt einer Akkreditierungspflicht, die entweder zu einer Zunahme der Lobbyisten in der Wandelhalle oder zu langwierigen und kaum lösbaren Auseinandersetzungen um die Kriterien für eine Akkreditation geführt hätte, soll die Liste der im Bundeshaus zugelassenen Lobbyisten und deren Auftraggeber veröffentlicht werden.
Zwar existiert eine solche Liste bereits seit dem Jahr 2003, also seit Inkrafttreten des Parlamentsgesetzes, aber für die Öffentlichkeit ist sie bislang kaum zugänglich. Das heisst: Einsicht ist nur unter Aufsicht möglich, Fotokopieren nicht erlaubt. Dennoch haben in den vergangenen Jahren verschiedene Medien die Liste in regelmässigen Abständen veröffentlicht, so die Weltwoche, der Blick und der Beobachter.
Mit Beginn der neuen Legislaturperiode wird die Liste nun offiziell im Internet veröffentlicht. Am Auswahlsystem dafür, wer überhaupt Zutritt zum Tempel der Macht erhält, ändert sich nichts. Auch künftig erhält Zutritt, wer von einem Parlamentarier oder einer Parlamentarierin dazu eingeladen wird. Jeder Parlamentarier kann frei über zwei "Freikarten" verfügen. Diese sind unbeschränkt gültig bis zum Ausscheiden des Parlamentariers aus dem Parlament.
Ein Blick in die Liste zeigt, dass nicht alle Parlamentarier diese Möglichkeit ausschöpfen. Auffallend viele vergeben ihre "Göttikarten" an Familienmitglieder oder ihre persönlichen Mitarbeiter. Einige haben nur eine der zwei Karten vergeben, andere gar keine. Am höchsten ist der Anteil der Parlamentarier, die keine "Patenkinder" haben, bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP).
Zahlenmässig am stärksten Vertreten sind Lobbyisten aus den Bereichen Gesundheitswesen, Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltschutz, Entwicklungshilfe und aus der Finanzbranche.
Dazu kommen Interessenvertreter der Städte und Kantone, der Verkehrs- und Telecom-Branche, der Landwirtschaft, der Ernährungsindustrie und der Gastronomie. Weitere Lobbyisten vertreten die Landeskirchen, die Jugendverbände und die Auslandschweizer.
Es gebe Parlamentarier, die möchten am liebsten keine Lobbyisten im Bundeshaus, erzählt Graf-Litscher. "Ich rede manchmal mit Lobbyisten. Sie sind eine Realität. Aber ich will wissen, wer deren Geldgeber sind, also wessen Interessen sie vertreten."
Klar ist: Der Zugang zur Wandelhalle bringt Vorteile. Lobbying passiert jedoch vor allem auch ausserhalb, im Rahmen von Einladungen zu Apéros, zum Essen, zu Präsentationen und zu andern Anlässen. Relativiert wird die Bedeutung der Lobbyisten in der Wandelhalle auch durch die Tatsache, dass etliche Volksvertreter, ob als Verbandspräsidenten, Gewerkschaftssekretäre, Wirtschaftskapitäne oder Gemeindepräsidenten, gleichzeitig auch Interessenvertreter sind.
Andreas Keiser, swissinfo.ch, 28. März 2011
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